Na dann regt euch doch auf!

by | 14. Sep 2014 | Gesellschaft, Netz, Social Media | Kein Kommentar

Der Schuldige ist gefunden! (Quelle: faz.net)

Ich finde Diskurs ja gut. Sehr gut sogar! Was den aktuellen Diskurs im Web gerade vergiftet und mich deswegen auch ein bisschen aufregt, ist die Selbstgefälligkeit, mit der „Schuldige“ dafür gesucht werden, dass das Internet – oder das was einige hier dafür halten – nichtmehr so funktioniert, wie sie es gewohnt sind. Denn es gibt – oh Schreck! – Menschen, die eine Meinung haben. Eine sehr verquere zwar, aber eben eine Meinung. Und die scheint zu stören:

Was war geschehen? Die FAZ hat einen Beitrag über einen sogenannten „Troll“ veröffentlicht, über einen Menschen also, der seinen „Hass“ auf die Welt im Internet „auskippt“. Der Beitrag, der schon in der gedruckten Ausgabe der FASZ vom 31. August erschien, ist gut geschrieben, gut recherchiert und erzählt von Uwe Ostertag, einem Frührentner, der Täglich 200 Kommentare „ins Netz schreibt“. Wie gesagt: hervorragender Artikel, mutig in der Aufmachung und vor allem gut erzählt, nur soll nun eben dieser Uwe Ostertag derjenige sein, der den „Diskurs im Netz“ kaputt macht.

Zugegeben: Seine Meinung ist nicht meine Meinung! Aber was bitteschön ist „Diskurs“, wenn ich das mal fragen darf? Habt ihr wirklich Angst vor einem Frührentner? Und auf der anderen Seite kuscht ihr vor Sascha Lobo, der gefühlt seit über einem Jahr seine Meinung, dieses Internet sein „kaputt“, in eben dieses Internet hineinschreibt und KEINE andere Lösung für dieses „Problem“ anbietet, als „mehr zu spenden“?

Und was mich dabei am meisten aufregt ist die Tatsache, dass die Qualität der Argumentation und die Differenziertheit der Vorwürfe von Lobo sich keinen Deut von denen des Buhmannes Ostertag unterscheiden.

Wie naiv seid Ihr?

Das Internet ist eine Erfindung des amerikanischen Militärs. Nach dem Ende des kalten Krieges überliess das amerikanische Verteidigungsministerium das Netz der Welt und seit dem nutzen wir es. Und ich halte das Internet (und vor allem WIE wir es nutzen) – versteht mich nicht falsch – für die größte Errungenschaft der Menschheit seit der Erfindung des Buchdruckes. Aber habt ihr wirklich geglaubt, die überlassen uns einfach ihr Netz und wir können machen, was wir wollen?

Genauso wie das Buch sich gefühlte achthundert Jahre in den Händen der katholischen Kirche befand, befindet sich das Internet in den Händen des amerikanischen Militärs! Was genau versteht ihr daran nicht? WIR bewegen uns auf DEREN Gebiet! Mein Server steht – ich hab ihn schon mal selbst gesehen – in einem Rechenzentrum in Berlin Charlotteburg. Aber alle Daten, die von ihm weg und zu ihm hin unterwegs sind, bewegen sich – zumindest zum Teil – auf amerikanischem Hoheitsgebiet. Das ist deren Sache. Und natürlich gehört es sich nicht, die Daten zu durchsuchen, auszuwerten und zu speichern. Aber was davon technisch möglich ist, WIRD getan. Ob es uns gefällt oder nicht. DAS ist der Deal. Scheiß Deal, ja! Aber ihr habt unterschrieben. Genauso wie ihr bei Facebook und bei Google unterschrieben habt, dass die alles, alles, alles, was ihr da postet BESITZEN. PUNKT! IHR habt unterschrieben. Also jammert nicht! Und vor allem applaudiert nicht immer so scheinheilig, wenn Lobo jede Woche aufs neue medienwirksam jammert. Das ändert nix.

Dazu eine kleine Anekdote. Ich bin in Rumänien aufgewachsen. In den 1970er und -80er Jahren. Mein Vater war Journalist. Deutscher Journalist. In Rumänien. Höchst verdächtig. Staatsfeind. Weil er deutsch sprach, eine Sprache, die die Trottel von der Securitate NICHT sprachen. Wir hatten ein Telefon. Es galt das ungeschriebene Gesetz: Dieses Telefon wird nicht benutzt! Es sei denn, es ist jemand gestorben! Wann immer wir die Trottel von der Securitate verwirren wollten, zum Beispiel, weil mein Vater sich mit westlichen Kollegen traf, rief er seine Schwester an, die in einen 50 km. entfernten Dorf wohnte und kündigte unseren Besuch an. Dadurch konnte er (zwar nicht sicher sein, aber zumindest) davon ausgehen, dass die Trottel von der Securitate uns NICHT folgen würden, wenn wir mit unserem Auto die Stadt verliessen, da die Trottel von der Securitate ja wussten, wo wir hin wollten. Eines Tages verstarb meine Großmutter, die Mutter meines Vaters, während er sich mit österreichischen Journalisten auf einem abgelegenen Berghof über die Situation der ungarischen Minderheit in Rumänien unterhielt. Mitten in dieses Gespräch platzten zwei Offiziere der Securitate, baten meinen Vater nach draussen und eröffneten ihm, er müsse nun dringend zu seiner Schwester fahren, denn seine Mutter sei gestorben. Vielleicht wundert mich deswegen so wenig von dem, was seit den Enthüllungen von Edward Snowden der Welt über die Methoden des NSA bekannt wurde.

Zu behaupten, das Internet sei „kaputt“, weil wir darin nicht unbeobachtet, unkontrolliert und ungestraft machen können, was wir wollen, ist genauso absurd wie die Behauptung, das Buch sei „kaputt“, weil nicht jeder unbedeutende und nichtswagende Text ohne weiteres in Buchform erscheint.

Das moderne Internet hat vieles verändert. Es leistet täglich eine wichtigen Beitrag GEGEN Völkermord, Unterdrückung, Willkür, Nationalismus, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Schwulenfeindlichkeit usw… und FÜR mehr Toleranz und Verständnis, Aufklärung, Transparenz und Weltfrieden. Und für Einhörner. Aber dafür brauchen wir DISKURS! Gesunden Diskurs!

Ich habe heute einem sechzehnjährigen versucht, das Social Web zu erklären. Ich wählte dazu das Bild eines Schulhofes. Drumrum ist eine Mauer. Aber innerhalb dieser Mauer kann jeder Schüler der Schule, der was zu sagen hat, egal wie doof, langweilig oder abwegig es ist, einfach seine Meinung sagen. Und wenn der beliebteste Schüler oder die beliebteste Schülerin behauptet, der eine oder andere Lehrer sei doof, wird ihm oder ihr mehr glauben geschenkt, als wenn eine graue Maus behauptet, eben jene Lehrerin oder Lehrer hätte auch Vorzüge. Und jeder, der eine Meinung dazu hat, KANN sich beteiligen. Aber er kann auch schweigen. DAS ist Diskurs!

Der einzige Unterschied ist nur, dass im Social Web jeder Song, der ausgetauscht wird, jedes Gerücht, jeder Liebesbrief, jede Knutscherei und jeder Streit für immer Facebook, Google und co. gehört. Für immer. Aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist der Diskurs!

Und wenn der Troll sich über den undifferenzierten Hass definiert, ist Sascha Lobo ein Troll, denn er trollt seit über einem Jahr die NSA und die USA und die CDU – natürlicht nicht die SPD, denn die macht ja alles richtig – und den BND und die Netzgemeinde. Und er bietet keine Lösungen an, sondern zeigt Bilder von Vögeln und redet über Geld. Und er trollt und er trollt und er trollt. Und ihr klatscht. Und dann kommt dieser Frührentner und trollt den Staat und das Sozialwesen und die Ausländer und die Flüchtlinge und ihr wollt ihm am liebsten den Mund verbieten. Aber das ist kein Diskurs!

Das Internet, zumal das moderne, hält einen Uwe Ostertag schon aus, genauso wie es einen Sascha Lobo aushält. Auch wenn ich persönlich beide nicht ertrage. Und sie unterscheiden sich im Grunde nur durch die Größe ihrer Lobby, durch ihren Beliebtheitsgrad auf dem Schulhof, und durch sonst garnichts.

Das moderne Internet IST Diskurs, ob es euch passt oder nicht! Regt euch auf, aber führt ihn endlich!

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