Ein Film wie ein Maik – mit „ai“

by | 15. Sep 2016 | Filmkritik | Kein Kommentar
Tschick

So mutig wie ein Pubertier – Tschick, der Film – Bild: SN/constantin film

Zunächst die gute Nachricht: Ich hab‘ schon schlimmeres gesehen, vor allem wenn wir über deutsche Literaturverfilmungen reden.

Und jetzt die schlechte: Die „Tschick“-Verfilmung von Fatih Akin is so blutleer wie ein unbenutzter Tampon. Aber ich fang‘ mal lieber „vorne“ an, bzw. „oben“ also am Kopf, also da, wo der Fisch namens „Deutscher Film“ schon seit langer, langer Zeit… sagen wir mal „etwas gebraucht“ „riecht“.

Brav, beige, langweilig und feige – das schlimmste, was einem „Kult-Buch“ passieren kann.

Wie kommt also eine solche „Literaturverfilmung“ in Deutschland in der Regel zustande? Ein Autor, in unserem Fall der viel zu früh von uns gegangene Wolfgang Herrndorf, schreibt ein Buch. Damit ein Verlag dieses druckt, muss der Autor zunächst (im schlimmsten Fall) eine ganze Menge „Rechte“ an den Verlag „abtreten“, unter anderem auch jene die mögliche Verfilmung betreffen. Im besten Fall, also wenn ein Autor schon „bekannt“ und die „Verfilmung“ des Buches also eher „wahrscheinlich“ ist, „einigt“ man sich zusätzlich (also Verlag und Autor) auf diverse „Mitsprache-Rechte“ des Autoren, bezüglich Produktion, Regie, Drehbuch und dergleichen. Dies geschieht aber in der Regel selten. Dann kommen die Geier. (Zitat Jan Delay: „Oliver Berben und so“) Gut, manchmal schafft der eine oder andere Regisseur, den Autoren zu überzeugen, dass er der einzig Richtige ist, um sein Buch zu verfilmen aber auch das… ihr ahnt es… geschieht eher selten. Meistens siegt die Aussicht auf finanziellen Erfolg. Roland Klick kann ein Lied davon singen.

In unserem Fall sicherte sich David Wnendt, seines Zeichens Schöpfer so unfassbarer Schmonzetten wie „Feuchtgebiete“ und „Er ist wieder da“ die „Rechte“. Er war wohl hartnäckiger als alle anderen. Was soll’s? Auf jeden Fall wurde er rechtzeitig gefeuert und Fatih Akin hatte den „Job“. Und genau das war es dann auch, ein „Job“ und genau so fühlt sich der Film auch an, wie ein „Job“, so, als ob ein „Beamter“ in einer „Behörde“ seinen „Job“ macht. Immer darauf bedacht, alles richtig und auf gar keine Fall einen Handgriff zu viel zu machen. BTW: Auch das ist „Deutscher Film“ – viel öfter, als man sich einzugestehen bereit ist. (Oliver Berben lässt grüßen!) 

Der Deutsche Film ist oft nicht mehr als das Resultat einer gut funktionierenden Behörde

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Entscheidung für Fatih Akin als Regisseur war sicherlich kein Fehler, allein sie kam deutlich zu spät. Denn wer Filme von Akin kennt, weiss, dass er eben genau dann am besten ist, wenn ihm die Geschichte, die er erzählen möchte, am Herzen liegt. Als Beleg dieser These möchte ich vor allem „Kurz und Schmerzlos“ (D 1998 – Grandioses Gangster-Drama – Marty Scorsese und Abel Ferrara lassen grüßen), „Im Juli“ (D 2000 – Die beste deutsche ‚Romantic Comedy‘ EVER) und „Soul Kitchen“ (D 2009 – Rührendes Brüder-Drama mit Hamburg-City-Charme) anführen. Schlimm wird’s immer dann, wenn’s mal wieder nur um’s Geld geht. Wir erinnern uns alle noch mit Schrecken an „Gegen die Wand“ (D 2004 – Die schlimmste Aneinanderreihung von Klischees aller Art, die je einen „Goldenen Bären“ gewann).

Wenn also – dazu war es irgendwann zu spät – Fatih Akin, der – siehe SPEX-Interview – offenbar darauf brannte, die großartige Geschichte von Herrndorf auf die große Leinwand zu bringen, sich rechtzeitig mit dem Autor und der Produktion auf eine, auf SEINE Version der Geschichte hätte verständigen können… wir hätten sicher einen Film gesehen, der dem Buch das Wasser hätte reichen können.

Vielleicht hätte Fatih dann mit seinen Figuren erst mal einen „durchgezogen“, „gechillt“ und sich dabei darauf besonnen, was ihn mal dazu bewogen hat, Filmregisseur zu werden, nämlich seine Leidenschaft zum Geschichtenerzählen. In einzelnen Szenen in „Tschick“ ist diese durchaus zu spüren, vermutlich immer dann, wenn die „Behörde“ ihn nicht unter Kontrolle hatte. Also viel zu selten.

Ein weiteres Problem der Verfilmung scheint auch zu sein, dass der Roman von den gängigen Instanzen deutscher Sprache als „Jugenbuch“ eingestuft wird. Das liegt – neben den jugendlichen Protagonisten – auch daran, dass Wolfgang Herrndorf auf die suggestive gestellte Frage der FAZ 2011  eine entsprechende Antwort gab. Erfreulich ist das vor allem für deutsche Schüler, die seit 2013 diesen wunderbaren Text als Unterrichtsstoff geniessen dürfen. Für den Film ist das leider ein Problem. Die Produktionsfirma, die den Film offenbar auch ebenda, also in der Zielgruppe der zwölf- bis 17-jährigen platzieren möchte, traut seiner Klientel leider immer noch sehr wenig zu, weswegen der Film – im Gegensatz zum Buch – mit redundantem und unnötigem Off-Kommentar-Wiedergekäue des gerade Gesehenen regelrecht zugetextet wird, als wäre es eine ZDF-Weltkriegs-Doku. Hanni und Nanni lässt grüßen.

Der Deutsche Film traut der deutschen Jugend offenbar nichts zu. Das ist zu wenig.

Und damit wären wir wieder bei Roland Klick. Wenn ich von dem letzten legitimen Großmeister des Deutschen Films EINES gelernt habe, dann das: „Wir halten unser Publikum für blöde. Wir trauen dem Zuschauer nichts zu. Wir erklären und psychologisieren jede noch so gute Geschichte zu Tode, aus Angst, der Zuschauer könnte sich sein eigenes Bild machen und damit kannste kein Geld verdienen.“ Genau das ist bei Tschick passiert.

Schade eigentlich!

Nachtrag 15. Oktober 2016:

Ausser Popcorn nichts gewesen

Nachdem ich mich jetzt also seit vier Wochen mit diversen jungen Menschen aus meinem Familien- und Freundeskreis über den Film ausgetauscht habe, drängt sich mir eine noch viel schlimmere Befürchtung auf: Das Ganze konnte nur scheitern, denn Scheitern ist das einzige, was der Deutsche Film gut kann.

Die meisten der Jugendlichen, mit denen ich über den Film sprach – sie waren so zwischen 15 und 21 – erkannten sich in keiner, aber auch in so gar keiner der Figuren wieder. Sie konnten mir auch keinen wirklichen „Konflikt“ oder keine „Entwicklung“ der Figuren beschreiben und ja, wen wundert’s sie würden auch mit keiner der Figuren tauschen wollen, auch nicht für einen Tag. Das einzige, was sie alle aus dem Film mitgenommen haben, ist eine leere Tüte Popcorn. Das ist zu wenig…

Sie alle waren in den Film gegangen, weil sie das Buch kannten, weil sie es teilweise freiwillig oder eben im Deutschunterricht gelesen hatten und weil es sie alle fasziniert hatte. Und nein, der Film – und das war die erschreckendste Übereinstimmung ihrer Aussagen – hat ihnen nichts, aber auch gar nichts neues über die Figuren oder die Geschichte erzählt. Und das macht mich eben so traurig.

Ich zweifle gar nicht daran, dass – man liest diese Behauptung ja seit der Film in den Kinos ist in allen ernstzunehmenden Feullietons, als wäre es das wichtigste Ziel einer Literaturverfilmung, von der Morgenpost über die taz bis hin zur FAZ und … huhu …, selbst „Knut Elstermann“ (wer???) hat dies in seiner (sic) Radio-Sendung ebenso vollmundig behauptet – dieser Film Wolfgang Herrendorf „wahrscheinlich sehr gut gefallen“ hätte. Warum auch nicht. Die Besetzung, die Ausstattung, die Musik, das alles schmeichelt dem großartigen Text, aber reicht das? Was ist mit der Geschichte?

Offenbar ist das schlimmste, was einem großen deutschen Roman passieren kann, zu einem deutschen Film gemacht zu werden. Und das ist doch die Tragik unseres Kulturbetriebes…

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