Die Mauer im Dorf lassen

by | 5. Mrz 2013 | Berlin, Texte | Kein Kommentar

Seit ein paar Tagen gibt es wieder Streit um die Mauer. Genauer gesagt um die East Side Gallery – was viele (vor allem Touristen, Neu-, Party- und Möchtegern-Berliner) für Die Mauer halten. Jetzt hat sich David Hasselhoff höchstpersönlich eingeschaltet und Klaus Wowereit hat das Thema zur Chefsache erklärt.

East Side Gallery - Wer fickt hier wen?

East Side Gallery – Wer fickt hier eigentlich wen?

Was bisher geschah: Am Morgen des 1. März 2013 begann der Bezirk Friedrichshain / Kreuzberg mit Bauarbeiten an der East Side Gallery. Ein Stück der ehemaligen Hinterlandmauer sollte versetzt werden, um einen Zugang zum ehemaligen Todesstreifen zu schaffen. Der Wiederaufbau der Brommybrücke, den die Bürgern des Bezirks in einem Bürgerentscheid von 2008 beschlossen hatten, sollte planmäßig beginnen. Die Berliner Club Comission aber sah den unendlichen Spaß, den um jeden Preis zu verteidigen sie sich auf die Fahnen geschrieben hat, plötzlich von einem Wohnhaus bedroht und mobilisierte tausende Unterstützer, um die – vermeintlich bösen – Bauarbeiten zu stoppen. Zwischen 2.000 [Polizei] und 6.000 [Veranstalter] Demonstranten – unter ihnen viele Prominente – kamen und sabotierten die Bauarbeiten, im naiven Glauben, den (heimlichen) Bau von Luxus-Wohnungen zu verhindern.

Immer neue Gerüchte vom Teilabriss oder gar dem vollständigen Abriss der East Side Gallery machten die Runde, Ben Becker schwang die Faust und ein paar flotte Sprüche (leider beleidigte er dabei die Menschen, die an der Mauer ihr Leben gelassen hatten) und am Ende wusste keiner mehr so recht, wofür oder wogegen er oder sie hier eigentlich demonstrierte. Leider handelt es sich bei der Aktion weniger um ein Missverständnis als offenbar um gezielte Desinformation von Seiten der Club Comission, die auf diesem Wege hofft, sich den Todesstreifen als kostenlose Party-Location erhalten zu können. Wir sind mitten in einer Kampagne, in die sich – als wäre das Desaster am neunen Hauptstadt-Flughafen nicht schon peinlich genug – nun auch noch der Regierende Bürgermeister eingeschaltet hat.

Leider gibt es bei dieser Auseinandersetzung viel zu viele, die nicht ganz ehrlich sind und nicht nur hehre Ziele vertreten. So geht es in erster Linie NICHT darum, dass die East Side Gallery abgerissen werden soll. Es werden lediglich einige Teile versetzt, um den Zugang zur Brommybrücke zu gewährleisten. Außerdem ist die East Side Gallery weder historisch noch politisch noch inhaltlich mit der Berliner Mauer oder gar der Deutschen Teilung gleichzusetzen. Hätte man die Mauer als solche jemals erhalten wollen, als Mahnmal, als Symbol für die grausame Teilung Deutschlands oder das Unrechtsregime der ehemaligen DDR, man hätte sie so belassen müssen, wie sie zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der DDR war, grau und trostlos. Erhalt war aber nie die Absicht. Zu jener Zeit, als ausserdem ja noch andere Stücke der ursprünglich mal 156 km langen Beton- und Steinmauer standen, ging es im Bereich der heutigen East Side Gallery vor allem darum, den hässlichen Beton irgendwie aufzuhübschen, bis die finanziellen Mittel bereit stünden, um dieses Schandmal der deutschen Geschichte endlich abzureissen. 118 internationalen Künstlern wurde damals erlaubt, die graue Hinterlandmauer auf ihrer Ost-Seite, entlang der Mühlenstraße zu bemalen – zu jenem Zeitpunkt eine wirklich gute Idee, denn man ging ja davon aus, dass die Mauer irgendwann weg kommt. Prämisse war einzig, dass die Kunstwerke, die auf die Mauer aufgebracht wurden, irgendwie einen inhaltlichen Bezug zu den Ereignissen jener Zeit haben sollten.

Doch es kam anders. Der graue Beton war nun bunt und wie das so ist in Berlin mit solchen Phänomenen, hat die East Side Gallery zunächst keine Sau interessiert, die Stadt hatte andere Probleme. Zwar kamen immer mehr Touristen, um sich die längste Open-Air-Gallerie der Welt anzusehen, aber diese waren den hippen Neuberlinern eher lästig. Man interessierte sich viel eher für das Gelände dahinter, die Brache am Wasser, den ehemaligen Todesstreifen, ein El-Dorado aus ungeklärten Besitzverhältnissen und unzugänglichem Gelände lockte die Hobby-Gastronomen und Party-Macher an wie die Schmeißfliegen. Seit Ende der 1990er Jahre entstehen auf immer neuen Uferflächen im Bereich zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke immer neue, so genannte Strand-Bars, beliebte Party-Locations, Touristenattraktionen im Niemandsland, in der Grauzone zwischen der sprichwörtlichen Toleranz der berliner Behörden und der Duldung durch die eigentlichen Besitzer – und ein riesiger Wirtschaftsfaktor. Für einige dieser Strand-Bars mussten im Übrigen schon Mauerstücke aus der East Side Gallery entfernt werden, ohne Protest der hippen Party-People versteht sich, es ging ja schliesslich um Club-Kultur, um endlosen Spaß, da muss dann eben die Kunst weichen.

Nun ist das Gelände zwischen Hinterland-Mauer und Spree seit der Wiedervereinigung auch offiziell als Bauland ausgewiesen und in dem Bebaungsplan von 2001 sind sowohl ein 63 Meter hohes Wohnhaus vorgesehen als auch der Wiederaufbau einer Brücke, die laut einem Bürgerentscheid von 2008 als Radfahrer- und Fussgängerbrücke beschlossen wurde. Und mit eben dieser Brommybrücke haten die Bauarbeiten vom vergangenen Freitag zu tun und nicht, wie von der Club Comission behauptet, mit dem Bau von Luxusappartments. Es geht hier also nicht um [Sub-] Kultur vs. Kommerz sondern um die Umsätze der in der Club Comission organisierten Gastronomen vs. öffentliche und privatwirtschaftliche Nutzung des ehemaligen Todesstreifens. [BTW: Das was die Mitglieder der Club Comission da betreiben ist durchaus auch Kommerz!]

Nachdem schon der Erhalt der Bar 25 gescheitert war, befürchten nun die ehemaligen Betreiber, die am gegenüberliegenden Spree-Ufer ihren Nachfolge-Club Kater Holzig aufgezogen haben, dass ihnen die Beschwerden der künftigen Anwohner die unendliche Party und damit den unendlichen Profit verderben. Und das Argument, man könne doch keine Wohnungen errichten, wo einst Menschen gestorben seien, wirkt umso absurder, wenn man bedenkt, was die, die so argumentieren, dort gerne erhalten möchten – Berlins größte Endlos-Party.

Wohnen im Todesstreifen – undenkbar. Party im Todesstreifen – kein Problem.

Wer also heute die East Side Gallery benutzt, um sich vor allem den Investoren und Bauherren des Wohnungsbauprojektes, das seit 2004 auf dem Baugrund im ehemaligen Todesstreifen geplant und seit 2007 genehmigt ist, in den Weg zu stellen, missbraucht die Deutsche Geschichte und schadet der Erinnerung an die Deutsche Teilung mehr als er ihr nutzt. Die East Side Gallery ist ein Post-Mauer-Konstrukt aus der Wendezeit, ein Symbol für Veränderung meinetwegen und mit ganz, ganz, ganz viel Wohlwollen ein Kunstwerk. Es gibt viele Gründe die 1,3 km bemalten Beton zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke zu erhalten, die wenigsten davon haben jedoch mit den Kunstwerken auf der Ost-Seite der Mauer oder gar den Errungenschaften der Club Comission zu tun. Diese ist nicht mehr und nicht weniger als ein Lobbyverband, der vor allem die eigenen Interessen vertritt und selbst hier ist es fraglich, ob die Bar-Betreiber aus Mitte oder dem Prenzlauer Berg wirklich geschlossen hinter der Sabotageaktion vom Wochenende stehen oder ob die heutigen Akteure von der East Side Gallery nicht auch hier ihre Position missbrauchen. Und all die hippen Party-People, die sich willfährig instrumentalisieren lassen, sollten vielleicht mal überlegen, wem sie da die Steigbügel halten.

Erst wenn das letzte Konjunkturprogramm versenkt, das letzte Bauvorhaben gestoppt und der letzte Bagger verschrottet ist, werdet ihr merken, dass es bei der Club Comission nichts umsonst gibt.

Mehr dazu auf taz.de: Mauer in Geiselhaft, der berliner zeitung: Bauarbeiten an East Side Gallery gestoppt und dem Tagesspeigel: Don’t Tear This Wall Down

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