Die Welt zu Gast bei Juergen

Mach' ein Bild von der Welt, eh' sie vergeht!

Was tun, wenn das Kind unbedingt zum #FCB will?

Stefanie Fiebrig alias @rudelbildung

Stefanie Fiebrig alias @rudelbildung bei ihrer Lesung in der FC Magnet Bar in Mitte

Die wunderbaren Texe und Fotos von @rudelbildung kannte ich bisher nur aus ihrem Blog. Wobei mich in ihren Bildern vor allem die großartige Nähe zu den von ihr portätierten Spieler und Besucher diverser Fussballspiele ganz besonders beeindrucken.

Stefanie Fiebrig – so heisst der Mensch hinter den Bildern und Geschichten – hat nun ein Buch veröffentlicht, in dem sie von sich, ihrer Liebe zum Fussball, zu ihren Kindern und nicht zuletzt zur Fotografie berichtet.

Dass sie gestern Abend ausgerechnet in meiner Stammknaipe, der FC Magnet Bar in Berlin Mitte, aus ihrem Buch las, gab mir die Gelegenheit, sie persönliche kennezulernen.

Dankbar bin ich vor allem für die Erkenntnis, dass die Begeisterung für den Fussball und die Liebe zu (s)einem Verein keineswegs das klischeehafte Privileg alleinstehender Männer ist, sondern durchaus Teil einer gleichberechtigten, erwachsenen Beziehung sein kann. Am meissten berührt hat mich der Text über eine Mutter, die ihren Sohn – so scheint es – an den FC Bayern verloren hat und gerade deswegen – weil ihr Kind unbeirrt seinen Weg geht – so unbeschreiblich stolz auf ihn ist, wie wir alle – wenn ich mir das wünschen darf – auf unsere Kinder stolz sein sollten, wenn sie unbeirrt das tun, was sie sich ausgesucht haben, egal ob es uns gefällt, oder nicht. Die Antwort auf die ein wenig provokante Frage im Titel dieses Textes lautet also: Es hinfahren!

Vielen Dank für diesen Text und vielen Dank für dieses Buch!

Kauft es, lest es und lasst euch mitreißen von der unglaublichen Liebe zum Fussball und zum Leben, die in diesem kleinen und zauberhaften Buch steckt!

Der Sommer ihres Lebens

Langweiler Maik und Außenseiter Tschick fliehen vor den Wirrungen der beginnenden Pubertät und cruisen im geklauten Lada durch die wilde ostdeutsche Provinz. Die modernen Lausbubengeschichten, die sie dort erleben, sind banal, rührend, komisch, mutig, kindisch und gefährlich zugleich und sie zaubern uns zurück in diese Zeit, in diesen Sommer als wir 14 waren.

Makrobiotik für Anfänger

Maria, ihm schmeckt’s nicht! – von Jan Weiler

Essen, das wissen wir schon längst, ist in Italien weit mehr als nur Nahrungsaufnahme. Das Auftischen und Verzehren von Speisen aller Art ist in italienischen Familien Statussymbol, Zusammenhalt, Trost, Angeberei, Ritual und Lebensmittelpunkt und was am schönsten ist, meist alles zugleich. Vor allem Gäste aus dem Ausland will man nicht mit leeren Händen und schon gar nicht mit leeren Tellern empfangen. Und da in Italien ja praktisch immer einer irgendwo zu Gast ist, wird eben bei jeder Gelegenheit gegessen, gegessen, gegessen.

„Was die Ernährung angeht, so ist es absolutes Wunder, dass dieses Land noch existiert…“ stellt Jan Weiler ebenso ironisch wie einfühlsam in seinem Roman „Maria, ihm schmeckt’s nicht!“ fest.

Als der Ich-Erzähler eine Halb-Italienerin heiratet, kommt mit seiner Frau auch deren „Sippe“ und mit der Sippe auch das Auftischen und Verzehren diverser Köstlichkeiten in sein Leben. In dem Roman, in dem es bei Weitem nicht nur ums Essen geht, auch wenn dies immer wieder eine charmante aber unbarmherzige Rolle spielt, geht es oft lustig und albern aber eben auch nachdenklich und liebevoll zu.

Die Hauptfigur Antonio Marcipane kommt in den sechziger Jahren als Gastarbeiter aus seiner italienischen Heimat nach Deutschland. Das ist zwar nicht New York, wohin er viel lieber gegangen wäre, aber immerhin ist es weit genug weg von der kleinen Stadt im Apennin, in der er geboren wurde und aufgewachsen ist und vor allem weit genug weg vom italienischen Militär, von dem er sich nicht herumkommandieren und -schikanieren lassen wollte.

Stattdessen, und das ist die Tragik dieses Buches, wird er sich in seiner neuen „Heimat“, die ihm nie die alte ersetzen, ihn aber auch nie so richtig in die Arme schließen wird, von ganz anderen beschimpfen, herumschubsen und schlecht behandeln lassen müssen. So lange bis auch das ihm nichts mehr ausmacht, denn Antonio, und das ist das Pfund, mit dem der Autor charmant zu wuchern versteht, ist mit einer Menschenliebe und Lebensfreude gesegnet, die nicht nur ansteckend sondern auch geeignet ist, dem Leser zuweilen die Tränen in die Augen zu treiben.

Denn wie immer, wenn einer fort geht, von da wo er geboren wurde, weil er eben musste oder weil ihm die Welt, wie er sie kannte, zu klein geworden war, wenn einer nie richtig ankommt im „gelobten Land“ – wie auch immer dies nun heißen mag – mischt sich das Motiv der Rührung in scheinbar banale Lebensgeschichten. Und eben diese eine so ganz ohne Mitleid und gar nicht von oben herab ganz wunderbar erzählt zu haben, genau das ist der große Verdienst dieses kleinen Buches.

In diesem Sinne: Weiterlesen!

Das Echo der Neurowissenschaften von Richard Powers

Viele Menschen haben mir den Roman „Der Klang der Zeit“ von Richard Powers empfohlen. Bevor ich dazu kam, ihn zu lesen, hielt ich schon sein neuestes Werk in der Hand: „Das Echo der Erinnerung“. In der Presse hochgelobt und angepriesen als über Jeffrey Eugenides und Jonathan Franzen hinausgehend. Also las ich es, denn die jeweiligen Paraderomane der zuvor Erwähnten hatten es mir doch sehr angetan – „Middlesex“ ging dabei für mich noch etwas über „Die Korrekturen“ hinaus – was für eine Aussicht also, einen Roman zu lesen, der noch über ersteren hinausgeht? Meine Erwartungen sollten leider nicht erfüllt werden.

Die Hardcover-Version von „Das Echo der Erinnerung“ bringt gute 780g auf die Waage. Wenn ich die Buchdeckel abziehe, nehmen einen ca. 600g vom Restgewicht mit auf eine beeindruckend recherchierte Reise in die Neurowissenschaft, wo man als Laie viel Interessantes über unser Hirn erfährt. Irgendwo dazwischen wird eine Geschichte erzählt. Es geht um einen jungen Mann, der aus unerklärlichen Gründen als versierter Kraftfahrer von einer schnurgeraden Strasse bei Kearney/Nebraska abkommt, sich überschlägt und danach zwei Wochen lang im Koma liegt. Derweil eilt seine Schwester herbei, die sich längst ein anderes Leben in einer anderen Stadt aufgebaut hat, um ihrem Bruder zu helfen. Als dieser aufwacht, nimmt das eigentliche Drama seinen Lauf: er hält die Person, die sich für seine Schwester ausgibt, für eine Doppelgängerin. Sie sieht zwar genauso aus und verhält sich auch so, jedoch fehlt die emotionale Bindung zu ihr. Hinter all dem vermutet der Patient eine Verschwörung. Für dieses Phänomen gibt es einen medizinischen Terminus: das Capgras-Syndrom. Dann gibt es noch einen zu Rate gezogenen populärwissenschaftlichen Neurologen, dem es in seinem eigenen Leben auch nicht hilft, dass er über die Vorgänge im menschlichen Gehirn und mögliche Störungen so gut bescheid weiß. Und es gibt die beiden besten Kumpels des Patienten, die irgendetwas über den Unfall wissen, dies aber erst sehr spät preisgeben. So einige andere Personen tummeln sich noch in der alles in allem etwa 80g schweren Geschichte, die mich an keiner Stelle wirklich gepackt hat.

Richard Powers versucht, mit einer für mich etwas hölzernen, weil zu verkopften Sprache eine emotionale Geschichte aufzubauen und mit poetischen Bildern zu arbeiten (der Ort Kearney steht für die Massen an Kranichen, die alljährlich Station am dortigen Fluss machen – die sich alljährlich daran erinnern, wo sie sich in den Weiten Nordamerikas versammeln müssen) – jedoch: die paar Gramm Emotion kommen leider nicht gegen das halbe Kilo hervorragend recherchiertes Wissen an. So fällt denn leider die Auflösung der Geschichte – der tatsächliche Unfallhergang und dann endlich auch das Erkennen der Schwester – nach 500 Seiten in meiner Seele auf ziemlich abgestorbenen Boden, was „Das Echo der Erinnerung“ angeht. Für Konzeptionisten möglicherweise ein interessanter Roman, für Leute, die emotional an einer Geschichte teilhaben möchten, eher enttäuschend.

Nichts für Männer? – ‚Späte Familie‘ von Zeruya Shalev

Eine Frage, die ich mir jedesmal stelle, wenn ich einen Roman von Zeruya Shalev lese, ist, ob es auch nur einen einzigen Mann auf dieser Welt gibt, der verstehen kann, was diese Frau da schreibt – und wenn ja, was dann wohl mit ihm nicht stimmen möge (ich freue mich auf Kommentare). So ausschließlich weiblich muten mir die in dieser unglaublich feinsinnigen, dieser präzisen Sprache beschriebenen emotionalen Zustände, diese Schwankungen, diese Absolutheiten an. Seit Zeruya Shalev auf der Bildfläche der Literatur erschienen ist, nach “Liebesleben” und “Mann und Frau” nun mit ihrem dritten Roman “Späte Familie”, ist die lesende Frauenwelt reichlich aufgewühlt – bis ins Unerträgliche leiden wir mit ihren – natürlich weiblichen – Protagonisten, wir leiden und sind verstört ob dieser erschütternden Nachvollziehbarkeit des eigentlich nicht Nachzuvollziehenden. Jede Handlung, jeder Zustand, jeder Gedanke scheint uns überhaupt nicht fremd – wir kennen das, auch wenn jede einzelne anders damit umzugehen vermag. Oder geht es nur mir so? Ich jedenfalls werde mitgerissen und -getragen auf dieser hohen Welle der Emotionen, finde mich in der Welt, die in dieser starken Sprache von Shalev gezeichnet wird, mehr als nur ein wenig wieder. Man kann dann entweder in diesen Lesestunden – viele sind es nicht, denn man unterliegt dem geheimnisvollen Zwang, immer weiterlesen zu müssen – aufgehen, in diesem ständigen Sich-Wiederfinden und – im besten Falle – Sich-Selbst-Hinterfragen oder das Buch beschämt und peinlich berührt, vielleicht sogar empört, weglegen, es nie wieder aufschlagen, denn diese Anteilnahme, dieses Mitfühlen kann wehtun, aufregend und aufwühlend sind die beschriebenen Situationen, an der Grenze zum Erträglichen, und doch immer so, dass sie nie nicht von dieser Welt sind, immer können wir (ich) uns (mich) mit erstaunlich wenig Mühe in diese selbstquälerische Hauptfigur hineinversetzen.

“Späte Familie” nimmt mich ebenso mit wie die beiden vorangegangenen Romane – diese irgendwie banale, alltägliche Geschichte von Ella, die nach zehn Jahren des Zusammenseins beschließt, ihren Mann zu verlassen, weil sie irgendwie nicht ganz glücklich ist und die Streitereien satt hat. Da gibt es den 6jährigen Sohn, dessen Familie sie auseinanderreißt, den distanzierten Vater, um dessen Aufmerksamkeit Ella sich Zeit ihres Lebens vergeblich bemüht hat (Nachtigall, ich hör dir trapsen…), die neue Liebe, die sie für allen Schmerz entschädigen soll und diese Erwartungen nicht erfüllen kann. Da gibt es Unsicherheit und Reue, Hoffnung und Enttäuschung. Es gibt die Gründung einer neuen, einer “späten Familie”, voller Erwartungen, voller althergebrachter, wenig hinterfragter Verhaltensmuster und voller Enttäuschungen. Alles kreist um die eine Frage: was, verdammt nochmal, ist Glück? Und alles kreist um die Angst – die Angst, nicht glücklich zu sein, die Angst, das als solches nicht erkannte Glück leichtfertig weggworfen zu haben und die Angst, nie wieder glücklich zu werden.

Maxim Billers ‚Esra‘ – oder die Rückkehr des Liebesromans

Die Dramaturgie von Liebesgeschichten ist einfach.

Boy meets Girl, sie verlieben sich, sie kriegen sich und dann kommen die Hindernisse. Klingt langweilig, isses meistens auch. Die wenigen großen, ewigen Liebesgeschichten haben diese Magie der Verzweiflung, die uns darin versinken läßt und uns wünschen macht, wir könnten ähnliches erleben.

Wer an ein Leben nach der großen Liebe glaubt, ist hier richtig, denn Biller ist ein Überlebender und erzählt in „Esra“ die magische und wenn auch nicht große, so doch ewige Liebesgeschichte eines Mannes, zu eben jener Esra, einer zerbrechlichen und ängstlichen Frau, die mit schlafwandlerischer Ziellosigkeit durch ihr Leben torkelt und Leser wie Hauptfigur immer wieder mit sich reißt. Sie ist ständig auf der Flucht vor ihren Männern, ihrer Mutter, ihrer Heimat, vor der Krankheit ihrer Tochter und nicht zuletzt vor Adam, dem ruhenden Pol in ihrer kleinen Welt, der nicht anders kann, als sie unaufhörlich zu lieben. Erzähler und Leser, werden immer wieder angezogen, eingesogen, aufgewühlt und dann, wenn alles gut zu werden droht, wieder verstossen.

Eben da liegt das Wesen guter Liebesgeschichten, in der Unerreichbarkeit des Glücks ebenso wie in der Flüchtigkeit des Augenblicks. Die Ruhe und Hingabe, mit der Biller sie uns erzählt, machen aus dieser Geschichte eine der ganz Großen.

Maxim Billers Roman „Esra“ ist 2003 bei Kiepenheuer & Witsch in Köln erschienen und wurde kurz nach Erscheinen mit einer einstweiligen Verfügung belegt, so daß er heute nicht mehr verkauft werden darf.

In diesem Sinne: Weiterlesen!