Die Welt zu Gast bei Juergen

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Das Echo der Neurowissenschaften von Richard Powers

Viele Menschen haben mir den Roman „Der Klang der Zeit“ von Richard Powers empfohlen. Bevor ich dazu kam, ihn zu lesen, hielt ich schon sein neuestes Werk in der Hand: „Das Echo der Erinnerung“. In der Presse hochgelobt und angepriesen als über Jeffrey Eugenides und Jonathan Franzen hinausgehend. Also las ich es, denn die jeweiligen Paraderomane der zuvor Erwähnten hatten es mir doch sehr angetan – „Middlesex“ ging dabei für mich noch etwas über „Die Korrekturen“ hinaus – was für eine Aussicht also, einen Roman zu lesen, der noch über ersteren hinausgeht? Meine Erwartungen sollten leider nicht erfüllt werden.

Die Hardcover-Version von „Das Echo der Erinnerung“ bringt gute 780g auf die Waage. Wenn ich die Buchdeckel abziehe, nehmen einen ca. 600g vom Restgewicht mit auf eine beeindruckend recherchierte Reise in die Neurowissenschaft, wo man als Laie viel Interessantes über unser Hirn erfährt. Irgendwo dazwischen wird eine Geschichte erzählt. Es geht um einen jungen Mann, der aus unerklärlichen Gründen als versierter Kraftfahrer von einer schnurgeraden Strasse bei Kearney/Nebraska abkommt, sich überschlägt und danach zwei Wochen lang im Koma liegt. Derweil eilt seine Schwester herbei, die sich längst ein anderes Leben in einer anderen Stadt aufgebaut hat, um ihrem Bruder zu helfen. Als dieser aufwacht, nimmt das eigentliche Drama seinen Lauf: er hält die Person, die sich für seine Schwester ausgibt, für eine Doppelgängerin. Sie sieht zwar genauso aus und verhält sich auch so, jedoch fehlt die emotionale Bindung zu ihr. Hinter all dem vermutet der Patient eine Verschwörung. Für dieses Phänomen gibt es einen medizinischen Terminus: das Capgras-Syndrom. Dann gibt es noch einen zu Rate gezogenen populärwissenschaftlichen Neurologen, dem es in seinem eigenen Leben auch nicht hilft, dass er über die Vorgänge im menschlichen Gehirn und mögliche Störungen so gut bescheid weiß. Und es gibt die beiden besten Kumpels des Patienten, die irgendetwas über den Unfall wissen, dies aber erst sehr spät preisgeben. So einige andere Personen tummeln sich noch in der alles in allem etwa 80g schweren Geschichte, die mich an keiner Stelle wirklich gepackt hat.

Richard Powers versucht, mit einer für mich etwas hölzernen, weil zu verkopften Sprache eine emotionale Geschichte aufzubauen und mit poetischen Bildern zu arbeiten (der Ort Kearney steht für die Massen an Kranichen, die alljährlich Station am dortigen Fluss machen – die sich alljährlich daran erinnern, wo sie sich in den Weiten Nordamerikas versammeln müssen) – jedoch: die paar Gramm Emotion kommen leider nicht gegen das halbe Kilo hervorragend recherchiertes Wissen an. So fällt denn leider die Auflösung der Geschichte – der tatsächliche Unfallhergang und dann endlich auch das Erkennen der Schwester – nach 500 Seiten in meiner Seele auf ziemlich abgestorbenen Boden, was „Das Echo der Erinnerung“ angeht. Für Konzeptionisten möglicherweise ein interessanter Roman, für Leute, die emotional an einer Geschichte teilhaben möchten, eher enttäuschend.