Auch Opfer unter den Deutschen

by | 8. Aug 2015 | Gesellschaft | Kein Kommentar
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Ja, ich weiss! Das gibt jetzt wieder Ärger… Zu Recht. Weil ich für Menschen, mit deren Meinung oder Haltung ich nicht zu 100% d’accord gehe oder, lasst es mich noch krasser sagen, deren Geschwätz ich unpassend bis widerlich finde, die politisch völlig inkorrekte Bezeichnung „Opfer“ wählte. Ihr habt ja recht! Aber der Titel bot sich eben an.

Worum geht es? Als ich heute, nach einem sonnigen und wonnigen Tag mit meinen Kind auf dem Rückweg aus dem Freibad einen ampelphasenbedingten Halt vor der offenen Tür einer jener Kneipen, in denen in Deutschland offenbar Politik gemacht wird, einlegen musste, vernahm ich folgende Worte (und leider nicht nur ich)

„Und ich meine nicht die sch… Asylanten, die eh schon hier sind und als Putzfrau oder Müllmann arbeiten, [man möchte sich – SORRY – einen leichten sächsischen Akzent vorstellen] ich meine die Bedrücher, die grode gomm. Hier, seit dos in der Bresse is. Hier, do hintn, in Moabitt. Ene dreihundert Meder longe Schlonge. Drei HUNDERT Meder.“ Und während ich unsicher das besorgte Gesicht meiner Tochter betrachtend auf baldiges Grün hoffte, ging es weiter: „Und ni de ärmsden… De meestn hom Dausende Dolloar on irschendwelsche Schlepper bezoahlt un gommn midn neistn eifon“

Ja. Nun erklären Sie mal einem dreijährigen Kind, warum der Man so brüllt und worüber der sich gerade so aufregt…

Ich weiss tatsächlich nicht, was ich dazu sagen soll. Ich meine… ich hab mir das ja auch nicht ausgesucht, hier zu leben… in Deutschland. Ich wurde dazu gezwungen. Ich bin nämlich in einem ganz anderen Land geboren, in einem Land mit anderen Menschen und anderen Sitten und einer ganz anderen Haltung zu Fremden. In Rumänien.

Und auch wenn sich das hier keiner vorstellen kann, ich hatte eine großartige Kindheit. Wir durften Kind sein. Wertvolle Menschen haben uns das Gefühl gegeben, ein wichtiger Teil dieser Welt zu sein. Klar, ab und zu, wenn wir mal was kaputt gemacht haben – und wir haben oft was kaputt gemacht – gabs paar hinter die Ohren. Na und? Natürlich hatten auch wir unsere Begehrlichkeiten. Diese roten 0,25l Dosen Cola waren natürlich magisch. Wenn es eine davon mal in unser Land schaffte, hatten wir unser ganz eigenes Ritual, wie diese heilige Reliquie zu öffnen sei. Ein Mal ganz vorsichtig umdrehen und dann drei mal auf den Verschluss klopfen… Und dann vorsichtig die Lasche ziehen. Das war schön. Ein beinahe religiöser Moment. Genauso wie jedes Auftauchen von Planmobil, Lego oder Matchbox in unserem kleinen, warmherzigen und von der Welt beinahe vergessenen Land als wundersame Begebenheit gefeiert wurde. Und was hatten wir noch? Ach ja… Den Rubik’s Würfel. Wir nannten ihn den „Würfel“. So ziemlich JEDER, den ich kenne, konnte diesen „Würfel“ spätestens in der vierten Klasse in unter vier Minuten „lösen“ sprich in seinen Ausgangszustand versetzen. Wenn man auf dem Gymnasium den „Würfel“ nicht konnte, wurde man belächelt.

Überhaupt gab es nur Gymnasien. Will sagen, alle Schulen, die auf die vierte Klasse folgten, WAREN Gymnasien, sprich, sie endeten mit dem Abitur. Diese Unterteilung in die spätere Dreiklassengesellschaft gab es nicht. Das bedeutete aber auch, dass sich mit jedem von uns Kindern die gleiche Mühe gegeben wurde. Jeder war gleich viel wert. JEDER. Jedes Kind und jeder Mensch.

Wenn man mich 1983 gefragt hätte, im Alter von 13 Jahren, ob ich da weg will, ob ich aus Rumänien ausreisen will, ich bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich gewollt hätte. Aber man hat mich nicht gefragt. Darum ging es nicht. Es ging nicht darum, was ICH will. Es ging einfach nicht anders. Ich kam nach Deutschland. In ein sauberes, aufgeräumtes Nürnberg mit Supermärkten voller Eiscreme, Softdrinks und Toilettenpapier, in ein sauberes, aufgeräumtes, barockes und steriles Rastatt voller Schuhgeschäfte und Küchenstudios und schliesslich in ein modernes, aufgeräumtes und leistungsorientiertes Stuttgart voller Autohäuser und Parkgaragen. Aber ohne Menschen. Wo sind die Menschen?

Die ersten zwei Jahre in meiner „neuen Heimat“ verbrachte ich in der Schule mit verwöhnten, wohlstandsverwahrlosten Mittelschichtskindern, die in mir den „Zigeuner“ sahen, dem sie auf Schritt und Tritt misstrauten und privat mit Kindern von amerikanischen Soldaten, die zu der Zeit (aufgrund ihrer meist dunklen Hautfarbe) ebenso unbeliebt waren wie wir Aussiedler vom Balkan und die im mir (aufgrund meiner Herkunft – Rumänien) nur den „Kommunisten“ sahen (den sie angetreten waren, zu vernichten).

Trotz der immensen Vorurteile hatte ich letztlich mit den US-Boys sehr viel Spaß – bis hin zur (wenn auch ungern gesehenen) Freundschaft. „Kommunismus“ scheint also ein dehnbarerer Begriff zu sein als „Zigeuner“. Einmal Zigeuner, immer Zigeuner. Dabei bin ich nichtmal Roma, ich bin Deutscher. Aber eben aus Rumänien. Das ist natürlich nicht so einfach auseinanderzuhalten… genauso wie ich in Deutschland bisher niemanden traf, der den „Würfel“ lösen kann – aber das nur so nebenbei…

Und welch Wunder… ich hab sogar Abitur gemacht. Und studiert. WOW! Aber ich will da jetzt auch nicht weiter drauf rumreiten, ich schreib‘ den Text auch nicht für mich, ich schreib das hier für meine Tochter auf, in der Hoffnung, dass sie das vielleicht irgendwann mal liest und begreift…

Ob ich also ein wichtiges Mitglied der Deutschen Gesellschaft geworden bin, oder es jemals sein werde, weiss ich nicht, was ich weiss, ist, dass KEIN Mensch EINFACH SO seine Heimat verlässt, nur weil es irgendwo anders „schöner“ ist. Am Wörtersee oder in Schwabing oder in Passau. Da würde man dann ja eher Urlaub machen. Hotel buchen, hin fahren und gut. Mir hätte das auch gefallen, damals, 1983 in Rumänien. Einach so. Hinfahren, da wo es schöner ist, Urlaub machen und zurück nach Hause. Aber so war es nicht. Und unterm Strich bin ich meinen Eltern dafür dankbar, dass sie diesen Schritt gemacht haben und dass ICH heute in Deutschland leben darf, obwohl weder mein Vater noch meine Mutter hier jemals richtig angekommen sind und es in der alten Heimat wahrscheinlich beide besser gehabt hätten.

Was ich damit sagen will: Die Menschen, die ihre Heimat verlassen, die aus ihrer Heimat fliehen, aus dem Land, in dem sie geboren wurden und das sie lieben, ohne Rückweg, ohne Hintertür, haben Angst um ihr Leben, um ihre Existenz, um die Zukunft ihrer Kinder. Und nicht nur unsere Verfassung, sondern auch das schlichte Gebot der Menschlichkeit verpflichtet uns dazu, ihnen zu helfen.

16 Jahre KOHL haben dazu geführt, dass die humanitäre Verpflichtung Deutschlands, den Verfolgten dieser Welt zu helfen, aufgeweicht wurde, zehn Jahre MERKEL führen dazu, dass offene Feindseligkeit und blinder Hass gegen Flüchtlinge im Deutschen Bundestag wieder salonfähig werden. Ich muss gar nicht erst an die Weimarer Republik zurück denken, damit mir schlecht wird. Meine Regierung schafft das auch so.

Und noch was: Den Tatbestand „Asylmissbrauch“ GIBT ES NICHT. Die Behauptung, Menschen, die vor Hunger, Krieg oder Unterdrückung fliehen, würden betrügen, ohne sie je angehört zu haben, hebelt die Unschuldsvermutung aus. Das Recht auf Asyl ist in der Verfassung verankert. Es einzufordern steht jedem frei. Mehr fällt mir dazu nicht ein. Und wenn die CSU dies nicht kapiert, ist sie wohl keine demokratische Partei im Sinne des Grundgesetztes.

AMEN!

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