Nichts für Männer? – ‘Späte Familie’ von Zeruya Shalev
Eine Frage, die ich mir jedesmal stelle, wenn ich einen Roman von Zeruya Shalev lese, ist, ob es auch nur einen einzigen Mann auf dieser Welt gibt, der verstehen kann, was diese Frau da schreibt – und wenn ja, was dann wohl mit ihm nicht stimmen möge (ich freue mich auf Kommentare). So ausschließlich weiblich muten mir die in dieser unglaublich feinsinnigen, dieser präzisen Sprache beschriebenen emotionalen Zustände, diese Schwankungen, diese Absolutheiten an. Seit Zeruya Shalev auf der Bildfläche der Literatur erschienen ist, nach “Liebesleben” und “Mann und Frau” nun mit ihrem dritten Roman “Späte Familie”, ist die lesende Frauenwelt reichlich aufgewühlt – bis ins Unerträgliche leiden wir mit ihren – natürlich weiblichen – Protagonisten, wir leiden und sind verstört ob dieser erschütternden Nachvollziehbarkeit des eigentlich nicht Nachzuvollziehenden. Jede Handlung, jeder Zustand, jeder Gedanke scheint uns überhaupt nicht fremd – wir kennen das, auch wenn jede einzelne anders damit umzugehen vermag. Oder geht es nur mir so? Ich jedenfalls werde mitgerissen und -getragen auf dieser hohen Welle der Emotionen, finde mich in der Welt, die in dieser starken Sprache von Shalev gezeichnet wird, mehr als nur ein wenig wieder. Man kann dann entweder in diesen Lesestunden – viele sind es nicht, denn man unterliegt dem geheimnisvollen Zwang, immer weiterlesen zu müssen – aufgehen, in diesem ständigen Sich-Wiederfinden und – im besten Falle – Sich-Selbst-Hinterfragen oder das Buch beschämt und peinlich berührt, vielleicht sogar empört, weglegen, es nie wieder aufschlagen, denn diese Anteilnahme, dieses Mitfühlen kann wehtun, aufregend und aufwühlend sind die beschriebenen Situationen, an der Grenze zum Erträglichen, und doch immer so, dass sie nie nicht von dieser Welt sind, immer können wir (ich) uns (mich) mit erstaunlich wenig Mühe in diese selbstquälerische Hauptfigur hineinversetzen.
“Späte Familie” nimmt mich ebenso mit wie die beiden vorangegangenen Romane – diese irgendwie banale, alltägliche Geschichte von Ella, die nach zehn Jahren des Zusammenseins beschließt, ihren Mann zu verlassen, weil sie irgendwie nicht ganz glücklich ist und die Streitereien satt hat. Da gibt es den 6jährigen Sohn, dessen Familie sie auseinanderreißt, den distanzierten Vater, um dessen Aufmerksamkeit Ella sich Zeit ihres Lebens vergeblich bemüht hat (Nachtigall, ich hör dir trapsen…), die neue Liebe, die sie für allen Schmerz entschädigen soll und diese Erwartungen nicht erfüllen kann. Da gibt es Unsicherheit und Reue, Hoffnung und Enttäuschung. Es gibt die Gründung einer neuen, einer “späten Familie”, voller Erwartungen, voller althergebrachter, wenig hinterfragter Verhaltensmuster und voller Enttäuschungen. Alles kreist um die eine Frage: was, verdammt nochmal, ist Glück? Und alles kreist um die Angst – die Angst, nicht glücklich zu sein, die Angst, das als solches nicht erkannte Glück leichtfertig weggworfen zu haben und die Angst, nie wieder glücklich zu werden.