Langweilig

by | 26. Sep 2013 | Gesellschaft | Kein Kommentar
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Der 1995 verstorbene Theatermacher Heiner Müller sagte einmal, Freiheit langweile ihn.

In der zusammen mit der DDR untergegangenen Diktatur des Proletariats sei er zurechtgekommen, da hätte er sich ausgekannt. Die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze des Arbeiter- und Bauernstaates dienten ihm als Leitplanke und Wegweiser. Das Spiel mit dem Wohlwollen der Mächtigen und der Gunst des Volkes war ihm vertraut, war jahrelang seine Heimat in einer heimatlosen Welt.

Diktatur zwingt zur Abstraktion. Wenn du nicht alles sagen darfst, was du vielleicht denkst, wenn dir Worte von heut auf morgen im Munde herumgedreht werden, wie Schwerter, die plötzlich gegen dich gerichtet, deinen Kopf fordernd, dich bedrohen, wenn auch die Haltung, die du beziehst, heute noch einer guten Sache dient und morgen schon den Feinden des Sozialismus in die Hände spielend, dir zum Verhängnis wird, dich in den Knast bringt, oder dich zumindest ruiniert, menschlich, gesellschaftlich, künstlerisch, dann verändert sich das, was du schreibst. Und irgendwann verändert sich auch, wie du denkst.

Und plötzlich ist sie weg, die Mauer, das scheussliche graue Ding, antiimperialistischer Schutzwall, eiserner Vorhang, Symbol der deutschen Teilung und alles ist kaputt. Keine Leitplanken mehr, keine Wegweiser, keine Partei mehr, die immer Recht hat, alles am Arsch. Der schöne Staat, alles weg. Jeder kann machen was er will und alle machen, dass sie weg kommen, aus dem Osten. Nix mehr mit internationale Solidarität, internationaler Kampf- und Feiertag der Werktätigen für Frieden und Sozialismus und Tag der internationalen Brigaden. Freiheit, nationaler Stumpfsinn, Tag der Deutschen Einheit.

Für Heiner Müller, 60, Kulturschaffenden eines untergehenden Landes, Vertreter einer untergehenden Kultur, kam diese Freiheit zu spät. Die Freiheit, wählen zu gehen, nach 40 Jahren politischer Farce, wo Wahlen nur Inszenierung waren, Legitimationstheater für den harten, sozialistischen Alltag. Die Freiheit des Andersdenkenden, wo doch mittlerweile alle gleich dachten. Wem willste da noch mit Freiheit kommen?

Aber was ist mit uns? 24 Jahre danach? Was ist mit unserer Freiheit? Wollen wir sie denn?

41,5% aller Deutschen haben von ihrer Freiheit, ihrem Wahlrecht gar keinen Gebrauch gemacht, sie haben gleich die Merkel genommen. Von den 28,5%, die gar nicht erst zur Wahl gegangen sind, mal ganz zu schweigen. Das sind 70%!!! Über zwei Drittel der Deutschen WOLLEN gar keine Freiheit. Freiheit langweilt sie!

Und was ist mit Umweltschutz, Atomausstieg, Bildung, Gerechtigkeit? Auch alles langweilig? Überwachungsstaat, Bankenkrise, Klimawandel?

Weil es ihnen so gut geht, sind all diese Themen für die Deutschen langweilig. Und damit in den nächsten vier Jahren bloss nichts spannendes passiert oder sich gar – Hoho! – was ändert, wählen sie die langweilige CDU. Und weil die – wie langweilig – nicht allein regieren kann, gibt es jetzt eine langweilige – pardon große – Koalition mit der nicht minder langweiligen SPD, denn gemeinsam ist der Stillstand besser zu ertragen.

Bitte, bitte weckt mich, wenn dieser langweilige Alptraum vorbei ist!

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