Die Welt zu Gast bei Juergen

Mach' ein Bild von der Welt, eh' sie vergeht!

Die kleinen Dinge des Lebens

Sieh an, sieh an, der Herr Biller fährt also öfter mit dem Fahrrad von Mitte in den Wedding ins Freibad.

Was daran ungewöhnlich ist? Na das Mitte-People ihren hippen, überteuerten, unsanierten Gut-Menschen-Kiez verlassen und Gefahr laufen, jenseits des Tellerrandes auf echte Menschen zu treffen, auf Menschen, die dringendere Probleme haben als die Frage, ob es sich lohnt, ein neues Blackberry zu kaufen oder den Wunsch, mit Jonathan Meese und dessen Mutter Eierlikör zu trinken, und Maxim Biller stellt dabei fest: ‚Wir müssen was tun!‘, da hat er recht.

Maxim Billers ‚Esra‘ – oder die Rückkehr des Liebesromans

Die Dramaturgie von Liebesgeschichten ist einfach.

Boy meets Girl, sie verlieben sich, sie kriegen sich und dann kommen die Hindernisse. Klingt langweilig, isses meistens auch. Die wenigen großen, ewigen Liebesgeschichten haben diese Magie der Verzweiflung, die uns darin versinken läßt und uns wünschen macht, wir könnten ähnliches erleben.

Wer an ein Leben nach der großen Liebe glaubt, ist hier richtig, denn Biller ist ein Überlebender und erzählt in „Esra“ die magische und wenn auch nicht große, so doch ewige Liebesgeschichte eines Mannes, zu eben jener Esra, einer zerbrechlichen und ängstlichen Frau, die mit schlafwandlerischer Ziellosigkeit durch ihr Leben torkelt und Leser wie Hauptfigur immer wieder mit sich reißt. Sie ist ständig auf der Flucht vor ihren Männern, ihrer Mutter, ihrer Heimat, vor der Krankheit ihrer Tochter und nicht zuletzt vor Adam, dem ruhenden Pol in ihrer kleinen Welt, der nicht anders kann, als sie unaufhörlich zu lieben. Erzähler und Leser, werden immer wieder angezogen, eingesogen, aufgewühlt und dann, wenn alles gut zu werden droht, wieder verstossen.

Eben da liegt das Wesen guter Liebesgeschichten, in der Unerreichbarkeit des Glücks ebenso wie in der Flüchtigkeit des Augenblicks. Die Ruhe und Hingabe, mit der Biller sie uns erzählt, machen aus dieser Geschichte eine der ganz Großen.

Maxim Billers Roman „Esra“ ist 2003 bei Kiepenheuer & Witsch in Köln erschienen und wurde kurz nach Erscheinen mit einer einstweiligen Verfügung belegt, so daß er heute nicht mehr verkauft werden darf.

In diesem Sinne: Weiterlesen!

Der ewige Biller

Nun ist es also wieder soweit.

Eigentlich wollte ich NIE einen Text mit den Worten „Nun ist es also wieder soweit.“ beginnen und wenn ich ehrlich bin, hatte ich auch gehofft, nie wieder einen Text lesen zu müssen, der mit den Worten „Nun ist es also wieder soweit.“ beginnt, aber…

Nun ist es also wieder so weit.

Maxim Biller macht Negativschlagzeilen.

Worum geht es hier? Ich fasse mal zusammen: Billers Roman „Esra“, 2003 bei KiWi in Köln erschienen, soll nun endgültig verboten bleiben. Doch damit nicht genug, am liebsten will man Biller selbst verbieten.

„Es droht eine Schmerzensgeldklage in zweistelliger Millionenhöhe.“ – Das würde Biller vernichten. Und wofür?

Nein, nicht etwa für eine seiner zahlreichen Kolumnen im Stile von „Hundert Zeilen Hass“ mit denen nicht nur ich sondern eine ganze Generation junger deutscher Intellektueller aufgewachsen ist, nicht wegen einer seiner üblichen Äußerungen gegen einen aus der alten braunen Garde, aus dem mit zunehmendem Alter immer mehr von der braune Scheisse heraustropft oder -quillt, die ihm als Kind eingeprügelt wurde und den man, als es Zeit gewesen wäre, übersehen hat, um ihn später zum FDP-Vorsitzenden, Arbeitgeber- oder Bundespräsidenten zu machen, nein. Wegen eines kleinen, ruhigen und sehr schön zu lesenden Liebesromans.

„Esra“ erzählt die weniger rührende als anrührende Geschichte des Juden Adam, der in aller Ruhe und mit allem was dazu gehört versucht, die Türkin Esra zu lieben. Doch wie so oft in Billers Geschichten gelingt es dem Juden nicht, denn alle sind gegen ihn.

In dieser Geschichte, die sich ähnlich wunderbar liest wie „Den Teufel im Leib“ von Raymond Radiguet oder die frühen Erzählungen von Schnitzler – vielmehr in ihren Hauptfiguren – wollen sich nun also zwei Frauen wiedererkennen, deren Humorlosigkeit offensichtlich nur noch von ihrer Gier und der kriminellen Energie ihrer Anwälte übertroffen wird.

Nun gut. Der Roman soll nicht mehr verkauft werden, nach letztem Stand soll nun auch die „korrigierte“ Fassung aus den Geschäften verschwinden, mir egal, ich hab mein Exemplar und Lesen ist hoffentlich noch nicht strafbar.

Aber nun soll auch Biller bluten. Und peinlicher noch als die Tatsache, daß sich dafür in Deutschland ein Gericht findet, ist die heimliche Freude, die sich – auch unter Intellektuellen – in diese Diskussion mischt. Man mahnt den Dichter zur Vorsicht. Man rät ihm abzuwägen, wen er „beleidigt“ und wie. Ich bin mir nicht sicher, wieviele dieser Claqueure die Originalfassung des Romans tatsächlich gelesen haben – so viele Exemplare sind wohl nicht im Umlauf – aber ich habe den Eindruck, auch hier geht es um etwas Anderes.

Es geht um Biller. Den ewigen Nörgler, der sich nicht gemein macht mit Eurem liberalen Altachtundsechtzigergewinsel und der Euch nicht entläßt aus der Schuld. Und ich meine nicht die Schuld von damals, ich meine die Schuld von heute. Es geht um den Biller, der leise, still und geduldig all die Fragen stellt, die Ihr Euch nicht getraut zu stellen und der darauf auch noch eine Antwort bekommt, und ob es Euch gefällt oder nicht, es geht um den Biller, der sprachlich brillanter ist als Ihr alle zusammen. Ihr wollt ihn hängen sehen.

Jetzt steht er am Galgen, ihm werden die Hände am Rücken zusammen gebunden und bald, bald baumelt er nur noch und kann euch nichts mehr tun. Daran geilt Ihr Euch auf.

Schämt Euch!