Die kleinen Dinge des Lebens

by | 8. Sep 2009 | Texte

Sieh an, sieh an, der Herr Biller fährt also öfter mit dem Fahrrad von Mitte in den Wedding ins Freibad.

Was daran ungewöhnlich ist? Na das Mitte-People ihren hippen, überteuerten, unsanierten Gut-Menschen-Kiez verlassen und Gefahr laufen, jenseits des Tellerrandes auf echte Menschen zu treffen, auf Menschen, die dringendere Probleme haben als die Frage, ob es sich lohnt, ein neues Blackberry zu kaufen oder den Wunsch, mit Jonathan Meese und dessen Mutter Eierlikör zu trinken, und Maxim Biller stellt dabei fest: ‚Wir müssen was tun!‘, da hat er recht.

Ich bin zwar keiner dieser Mitte-People, auch wenn ich da seit einem Jahr arbeite. Die verhältnismässig wenigen Ausländer in Mitte sind keine Migranten aus Anatolien sondern Globetrotter aus Guatemala und Marokko und sie leben auch nicht von Sozialhilfe sondern verkaufen Trödel, machen Strassenmusik oder gar irgendwas mit ‚Kunst‘. Der überwiegende Teil kommt aus Süd-Ost-Asien und betreibt einen Imbiss oder einen Gemüseladen, wo man bis weit nach Mitternacht noch Thai-Curry mit Huhn essen oder Bier und Zigaretten kaufen kann.

Wenn ich also Lust auf was exotisches habe, fahre auch ich in der Mittagspause mit meinem Fahrrad in den Wedding. Auf dem Weg durch die Kampfzone zwischen Mauerstreifen und Gesundbrunnen-Center blicke auch ich, genau wie Biller, in wütende, verzweifelte und traurige Gesichter. Kein New-York-Gefühl will sich derweil bei mir einstellen und es fällt mir auch kein anderer verlogener Jet-Setter-Begriff ein, um die zornige Leere zu verklären, die mir aus den Blicken der Kinder, Frauen und Rentner zwischen Bernauer und Osloer Strasse entgegenschlägt. Kaum einer spricht unfallfrei Deutsch, auch wenn die meisten hier geboren wurden und zur Schule gegangen sind, die Jugendlichen schreien einander meistens nur an und in ihren pubertären Pöbeleien weicht das Spielerische immer mehr dem bitteren Ernst ihrer aufkeimenden Perspektivlosigkeit.

An der Pankstrasse angekommen kann ich mich dann erstmal nicht zwischen Börek, Döner und Falafel entscheiden und während ich so schaue, betet Harkan mir seine Speisekarte vor. Dass er dabei immer lauter und aggressiver wird und jedes dritte Wort ‚Bittschön‘ ist, macht es auch nicht einfacher und ich nehme den Döner – wie immer. ‚Ohne Soße und ohne Tomate‘ – auch wie immer und zum ersten Mal an diesem Tag bekomme ich dieses tolle Berlin-Gefühl.

Vor viel zu langer Zeit schon haben wir uns angewöhnt, die Fremden, die hier mit uns leben in gute und schlechte Ausländer einzuteilen. Die einen, still, fleissig uns sauber, exotisch, weltoffen oder einfach nur anders – von denen können wir was lernen, die haben wir gerne um uns – die anderen gerade mal gut genug um unsere Dreck weg zu machen und sich dann zu verpissen in ihre runtergekommenen Neubausiedlungen. ‚Ausländische Mitbürger‘, ‚Migranten‘, ‚Menschen mit Mirgationshintergrund‘, von Zeit zu Zeit, wenn die alten abgenutzt sind, erfinden wir wieder neue politisch korrekte Verniedlichungs-Vokabeln für den einfachen beschämenden Umstand, dass unsere Heimat niemals die ihre sein wird. Weil wir nie angefangen haben, sie zu lassen, haben sie aufgehört, zu wollen.

Während ich noch langsam die letzten Bissen des besten Döner im Wedding geniesse, stellt einer von Harkans Söhnen mir einen Tee hin, der so stark ist, dass ich wie auf einer kleinen Wolke den gesamten Weg nach Mitte zurückschwebe. Irgendwo am Humboldhain zieht das hektische Hupen eines weissen BMW stumpf an mir vorbei und ich denke: ‚Wer oder was macht uns eigentlich zu dem was wir sind?‘

An der Fussgänger-Ampel über die Bernauer Strasse sammeln sich dann wieder die hippen Mitte-Berliner mit ihren City-Cruisern und Laptop-Umhängetaschen auf dem Weg in ihre schicken Ateliers, Agenturen oder sonstigen Altbauten. Mitten unter ihnen steht, fast als hätte sie sich verlaufen, eine ältere türkische Frau mit Kopftuch, schwer bepackt mit Einkaufstaschen und für einen Augenblick sieht es so aus, als wollte sie rüber, in den Osten.

Immer wenn diese Ampel grün wird, fällt mir ein, das hier einmal eine Mauer stand und ich bekomme Gänsehaut und genau dieses tolle Berlin-Gefühl.

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