Die Welt zu Gast bei Juergen

Mach' ein Bild von der Welt, eh' sie vergeht!

Den Fluss hinauf

Seit drei Wochen sind wir jetzt auf der Flucht. Wir haben schon unter so vielen Brücken geschlafen und auf so vielen Bahnhöfen gewartet, daß ich schon gar nicht mehr weiß, wovor wir uns eigentlich verstecken. Es hatte, glaub‘ ich, damit angefangen, daß wir alle ein bißchen freier sein wollten, ein bißchen weniger Teil des falschen Systems. Was auch immer das heißt. Einigen von uns hatte es nicht mehr gereicht, zu reden, zu protestieren, in überfüllten Hörsälen herumzusitzen und Worte und Sätze und Parolen zu schmettern, die sowieso nichts änderten. Jetzt saßen wir auf zugigen Bahnhöfen und sagten kein Wort. Die großen, die Hauptbahnhöfe wurden regelmäßig nach uns abgesucht, stündlich tauchten zwei Streifen und ungezählte in Zivil dort auf und kontrollierten die Pässe. Wir sind auf die kleinen Bahnhöfe ausgewichen. Es gibt 3685 dieser mittleren und kleinen Bahnhöfe im Westen, um alle auf einmal zu überwachen fehlt ihnen das Geld. Wir reisen zu dritt. Fünf werden gesucht, drei fallen weniger auf.

Coming Home

Bei manchen Menschen, so heißt es, sei das Sterben wie nach Hause kommen. Clara zum Beispiel hatte ein kleines Leben gelebt, ein bescheidenes und trotzdem ein schönes. Oft hatte sie an den Tod gedacht, vom Tod gesprochen und manchmal, jedoch niemals ernsthaft, hatte sie sich gewünscht, tot zu sein. Wenn sie daran dachte, war es eher der Tod der Eltern als der eigene oder der der Schwester, denn auch sie mochte wohl umgekommen sein, jedoch nie der von Pavel, denn sie hatte sich verboten, an Pavel zu denken. Ja, sie hatte es sich verboten, und sie war ein wenig stolz auf sich, denn fast hätte sie es geschafft. Sie hatte sich geschworen, sie würde ihn nie vergessen, nur dürfe sie nie an ihn denken oder von ihm träumen oder sich sein Gesicht vorstellen. Beinahe zweiundsechzig Jahre hatte sie es geschafft, mit ihren Gedanken geschickt und trotzdem liebevoll um ihn herumzuschleichen, bis drei Tage vor ihrem Tod.